1. Juli 2023

Gemüse unter Stress

von Claudia Börsting

Hochsommer bedeutet Hochsommer-Gemüse, eigentlich ein Grund zur Freude. Der alljährliche Sommer-Reigen der Gemüse ist eröffnet. Die Zucchini haben den Anfang gemacht, Fenchel folgt, Mangold ist stetiger Begleiter. Und irgendwann demnächst folgt die ersehnte sommerliche Dreifaltigkeit: Tomaten, Auberginen, Paprika. Im Hintergrund wachsen bereits die ersten Herbst- und Wintergemüse heran. Soweit jedenfalls die Theorie. Nennt mich gerne ab sofort Kassandra, aber ich habe den Eindruck, wir werden vor allem im kommenden Herbst und Winter die Erfahrung machen, dass eine Solidarische Landwirtschaft nicht automatisch das reine Gemüseglück bedeutet. Das Wort „Solidarisch“ bedeutet einerseits, dass wir nicht nur auf die bewundernswerte Energie und Kraft der Gärtner*innen vertrauen, sondern dass wir alle mithelfen sollten, sei es finanziell, tatkräftig auf dem Acker oder im administrativen Hintergrund. Der zweite wesentliche Grundgedanke der Solidarität ist es, gemeinsam Chancen und Risiken zu teilen.

Wenn ich mit meinem zwar nicht professionellen, aber doch einigermaßen erfahrenen Blick auf dem Acker um mich schaue, sehe ich, dass unser Gemüse für Ende Juni / Anfang Juli schon ungewöhnlich stark unter Stress steht, so wie ich es in diesem, fast alle Gemüsearten betreffenden Umfang trotz bester gärtnerischer Versorgung noch nie erlebt habe. Von unten fressen verschiedene Tiere die Gemüsewurzeln ab (die Wurzeln versorgen die Pflanze mit Wasser und Nährstoffen, die Grundlagen für Wachstum und Ernte), von oben fressen andere Tiere Blätter (die Blätter versorgen die Pflanze über die Photosynthese mit Energie, eine weitere Grundlage für Wachstum) oder direkt das, was wir ernten wollen. Viele Ursachen, die alle zulasten des Ertrags gehen. Und das sind nur die tierischen Ursachen.

Damit noch nicht genug. Es ist viel zu lange viel zu heiß und viel zu trocken und der Sommer hat gerade erst begonnen. Ich habe Sorge, dass sich die vergangenen Jahre wiederholen und dass erst im Herbst wieder nennenswerte, gut verteilte Niederschläge fallen. Kann es sein, dass wir schon im mediterranen Klima angekommen sind, schneller als die Sortenzucht nachkommen konnte?

Die Fraßschäden am Wurzelwerk unserer Gemüsepflanzen wiegen unter diesen Bedingungen umso schwerer. Auch unsere Gärtner*innen können den Pflanzen keine abgefressenen Wurzeln zurückzaubern, damit diese das wenige Wasser optimal ausnutzen könnten. Auch bei Pflanzen mit gut erhaltenen Wurzeln können wir dem Wassermangel nur ein wenig entgegenwirken und die Gemüsepflanzen so gut wie möglich unterstützen. Konkurrenz beseitigen (d.h. jäten, jäten, jäten), Mulch (oder häufiges Hacken), Bodenbedeckung und gegenseitige Förderung durch Mischkulturen, Beschattung, Förderung des Bodenlebens und der Bodenstruktur, Nützlings-Förderung, Förderung der Wurzelentwicklung, gezielte Bewässerung, Zäune, Voodoo, Regentänze und viele andere große und kleine Maßnahmen helfen mehr oder weniger, aber gegen das Wetter können wir nichts tun. Der Bonus aus den eher nassen und kühlen Frühjahrsmonaten ist aufgebraucht. Unsere von den tierischen Schädlingen sowieso schon sehr mitgenommenen, vorgeschädigten Gemüse müssen nun auch noch mit der Hitze und der intensiven Sonneneinstrahlung klarkommen. Wenig Wurzeln und weniger Blätter zu haben bedeutet eine noch geringere Wasser- und Nährstoff-Aufnahme und noch weniger Energie für Wachstum. Die Formel ist einfach: weniger Wachstum, weniger Gemüse in den Gemüsekisten.

In der Natur sind Notzeiten normal und Pflanzen haben dafür verschiedene Überlebensstrategien. In der allergrößten Not geht es am Ende nur noch um das Überleben der einzelnen Pflanze bis zum Lebensziel: die Bildung von Samen, damit kommende Generationen bei hoffentlich günstigeren Bedingungen wiederum die Art insgesamt erhalten. Überleben bedeutet nicht, reichlich prächtige, makellose Früchte wachsen zu lassen und Gemüsekisten zu füllen. In der Natur geht es ausschließlich um das Überleben der Art.

Vom Bewässern notdürftig am Leben erhaltene, durch die Grundbelastung (Schädlinge, vor allem im Wurzelbereich) und die aktuellen Bedingungen (Hitze, Trockenheit, Wind, UV-Belastung) gestresste Pflanzen werden in der Folge anfällig für Pilze, andere Erkrankungen und weitere Schädlinge. Manche Gemüsepflanzen wachsen nicht mehr weiter, bleiben klein und bilden die zu erntenden Teile gar nicht mehr aus (momentan an einigen Paprika zu beobachten). 

Oder die Pflanzen bekommen eine harte Haut bzw. Schalen (dient u.a. als Verdunstungsschutz, z.B. bei Tomaten). Wird dann bewässert, können die Früchte platzen: feste, dicke Haut bzw. Schalen sind nicht elastisch genug, um den sich durch das aufgenommene Wasser ausdehnenden Zellen und Zellzwischenräumen Raum zu geben. Geplatzte Früchte verderben oft schnell (z.B. Kohlrabi, Kohl), wenn sie die Risse nicht „heilen“, d.h. verkorken können (Tomaten gelingt das bei trockenem Wetter). Es kann vorkommen, dass Gemüse von der Sonne regelrecht verkocht werden (Sonnenbrand, inwendig verkochte Stellen, folgende Fäule, war kürzlich bei Kohlrabi der Fall). Viele Gemüsearten (aktuell Kohl und Fenchel) gehen weit vor der Zeit in Blüte und sterben nach der Samenbildung ganz ab. Das ist fatal, wenn sie als Wintergemüse dienen sollen. Die Liste könnte endlos fortgesetzt werden. Alle Stressreaktionen gehen zulasten des Ertrags, zulasten der Füllung unserer Gemüsekisten in der Ausgabe und der Mengen, die jeder Anteil bekommt, bis hin zu akuten oder mittelfristigen (Herbst/Winter) Total-Ausfällen. 

Ich freue mich, wenn ich mich irre und alles ganz anders kommt und die momentane Gemüse-Flaute nur ein Luftholen vor der nächsten Gemüse-Schwemme ist. Aber ich werde es mir selbst vorsichtshalber auch schon mal an den Kühlschrank pinnen, vor allem für den Herbst und den Winter:

Solidarische Landwirtschaft bedeutet, auch das Risiko zu teilen.

Vielleicht haben wir Glück und die alte Gärtnerregel „Irgend’ebbes goht emmer!“ (übersetzt: „Irgendetwas wächst immer“) gilt auch im Zeitalter des Klimawandels. Und so möchte ich mit der prallen, verlockenden sommerlichen Dreifaltigkeit Zucchini-Tomaten-Auberginen enden, fotografiert am 02.07.23 auf dem Walzbachacker, vorfreudig und begeistert von so viel Vitalität.